Seit dem Urteil des Landgerichts Mannheim vom 29.04.2020 (hier geht's zu unserem entsprechenden Artikel) sind zahlreiche weitere Urteile verschiedener Landgerichte mit unterschiedlichen Ergebnissen ergangen.
Nach den einschlägigen Versicherungsbedingungen der verschiedenen Betriebsschließungsversicherer gewähren diese eine Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz – IfSG) beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserreger beim Menschen schließt. Hinsichtlich der meldepflichtigen Krankheiten und Krankheitserreger wird jeweils auf die im IfSG in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger Bezug genommen.
Einigkeit besteht unter den Gerichten darüber, dass die Landesministerien, die seit März 2020 aufgrund des IfSG die verschiedenen Infektionsschutzverordnungen zur Verhinderung der Verbreitung des Coronavirus erlassen haben – in Bayern wurde am 15. Dezember 2020 mittlerweile die 11. Infektionsschutzverordnung erlassen – die zuständigen Behörden nach dem IfSG sind, und dass es nicht darauf ankommt, ob durch einen Verwaltungsakt ein einzelner Betrieb geschlossen wird, oder ob durch eine allgemeine Verordnung alle Betriebe einer bestimmten Branche oder alle Betriebe mit bestimmten Eigenschaften geschlossen werden.
Einigkeit besteht unter den Gerichten auch darüber, dass nur eine vollständige Schließung des betroffenen Betriebes die Leistungspflicht des Versicherers auslösen kann.
Das Coronavirus war bei Abschluss der den zwischenzeitlich ergangenen Urteilen zugrundeliegenden Versicherungsverträge noch nicht bekannt und wurde deshalb in den §§ 6 und 7 IfSG auch noch nicht genannt. Einige Landgerichte (LG) vertreten deshalb die Auffassung, dass sich deshalb der Versicherungsschutz ausschließlich auf die in den §§ 6 und 7 IfSG namentlich genannten Krankheiten oder Krankheitserreger beziehen könne. Andere vertreten die gegenteilige Auffassung.
Mit dieser Begründung wiesen z.B. das LG Ellwangen (Urteil vom 17.09.2020 – Az. 3 O 187/20 –, juris), das LG Bayreuth (15.10.2020 – Az. 21 O 281/20 –, juris), das LG Oldenburg (21.10.2020 – Az. 13 O 1637/20 –, juris), das LG Essen (11.11.2020 – Az. 18 O 180/20 –, juris), das LG Hamburg (26.11.2020 – Az. 332 O 190/20 –, juris), das LG Köln (02.12.2020 – Az. 20 O 139/20 –, und vom 09.12.2020 - Az. 20 O 194/20 –, juris)), und das LG Heidelberg (08.12.2020 – Az. 2 O 156/20 –, juris), die Klagen der betroffenen Betriebe ab.
Demgegenüber haben z.B. das LG München (01.10.2020 – Az. 12 O 5895/20 –, und 22.10.2020 – Az. 12 O 5868/20 –, juris), das LG Hamburg (04.11.2020 – Az. 412 HKO 91/20, juris), das LG Darmstadt (09.12.2020 – Az. 4 O 220/20 –, juris), das LG Flensburg (10.12.2020 – Az. 4 O 153/20 –, juris) den Klagen der betroffenen Unternehmen mit gegenteiliger Begründung stattgegeben.
Sie vertreten die Auffassung, dass die richtige Auslegung der Versicherungsbedingungen mit der Verweisung auf die in §§ 6 und 7 IfSG aufgeführten Krankheiten und Krankheitserreger zu dem Ergebnis führen müsse, dass die durch Änderungen des IfSG hinzukommenden Krankheiten und Krankheitserreger ebenfalls vom Versicherungsschutz erfasst seien. Anderenfalls müssten die Versicherungsnehmer die medizinische Entwicklung ständig verfolgen und bei neu auftauchenden Krankheiten oder Krankheitserregern jeweils beim Versicherer darauf dringen, dass der Versicherungsvertrag ergänzt werden würde. Dies könne nicht der Zweck der Betriebsschließungsversicherung sein.
Diese Rechtsprechung deckt sich mit der in meinem Aufsatz vom 07.05.2020 vertretenen Auffassung, die ich weiterhin für richtig halte.
Vom Versicherungsnehmer kann billigerweise nicht verlangt werden, dass er sich eingehend und fortlaufend mit der medizinischen Entwicklung im Bereich des Infektionsschutzes auseinandersetzt.
Die Entscheidung eines Oberlandesgerichts über eine gegen eines der vorstehenden Urteile eingelegten Berufung liegt noch nicht vor.
Die weitere Entwicklung der Rechtsprechung bleibt abzuwarten.
Stand 07.01.2021